10.01.2021 09. Januar 2021 „Die richtig harten Jahre kommen erst noch“ Jahresauftakt-Interview mit Bürgermeister Dietmar Gruchmann über Corona, 2021 und die weiteren Folgen für die Stadt Auf die Freude über die Wiederwahl folgte monatelanges Krisenmanagement. In unserem Jahresinterview erzählt Bürgermeister Dietmar Gruchmann aus seinem Arbeitsalltag, von Ärgernissen im Umgang mit der großen Politik und natürlich auch, wie es nun in Garching weitergehen soll. Herr Gruchmann, 2020 war ein Jahr, wie es sich wohl niemand hat vorstellen können. Wie fällt Ihre Bilanz aus? Gruchmann: „Nach der Freude der gewonnenen Kommunalwahl kam dann das böse Erwachen. Dieses Jahr hat uns alle wirklich vor ganz spezielle Herausforderungen gestellt.” Ist es im Pandemiejahr eine Freude oder eine Strafe, als Bürgermeister wiedergewählt worden zu sein? Gruchmann: „Es ist ein Glücksmoment für alle Kommunen, in denen Bürgermeister wiedergewählt wurden, die somit schon Routine im Amtsgeschäft hatten. Denn der Schwerpunkt des Jahres war ein durchgehendes Krisenmanagement. Es begann mit den Kinderbetreuungseinrichtungen, die mit dem Start der Pandemie im Ausnahmezustand waren. Die Erwartungshaltung der Eltern war dazu hoch. Dann standen die Schulen mit der Digitalisierung auf der Matte. Die ist noch lange nicht so umgesetzt, wie es ein Kultusministerium mit Weitblick hätte schaffen können. Über Nacht haben wir unsere eigene Corona-Teststation aufgebaut – ein echter Kraftakt für unsere Verwaltung, der ich dafür sehr dankbar bin, denn sonst hätten unsere Bürger zur Teststation des Landkreises nach Haar fahren müssen. Natürlich lief so etwas auf die Schnelle nicht vollkommen reibungslos an. Wir konnten auch nicht jede Erwartungshaltung der Bürger erfüllen, aber die meisten sind uns dankbar für diese Service-Leistung der Stadt. Es war wirklich ein Jahr voller Herausforderungen. Und gerade die Digitalisierung unserer Schulen ist immer wieder ein großes Thema. Das beschäftigt uns auch jetzt noch.” Was ist da der aktuelle Stand? Gruchmann: „Vor zwei Jahren startete der Digitalpakt Bayern mit der Aussicht auf Zuschüsse, damit die Schulen Glasfaser-Anschlüsse bekommen sowie die Verkabelungen in den Gebäuden und WLAN. Das zur Verfügung gestellte Geld war etwa die Hälfte von dem, was wir tatsächlich brauchen. Wir waren als Kommune gefordert und wir waren und sind abhängig von Dritten. Wir können Aufträge an Telekommunikationsunternehmen erteilen, aber wir können die Arbeiten nicht selber ausführen. Beim Gymnasium und der Grundschule Ost wurden die Glasfaserleitungen zum Beispiel bis 100 Meter vor die Schulen verlegt. Und dann hieß es, dass die Schulanschlüsse erst 2021 gemacht werden. Da kann ich dann bitten und betteln, wie ich will… wenn die nicht wollen oder können, gibt’s kein schnelles Internet in den Schulen. Wir haben improvisiert was ging, aber es ist noch lange nicht perfekt. Die große Politik weckt aber beiden Eltern die Erwartungshaltung, dass von ihr alles geregelt ist. Dabei dauert das alles seine Zeit. Wir müssen Aufträge EU-weit ausschreiben. Kultusminister Piazolo hat vor ein paar Wochen zum Beispiel versprochen, dass alle Lehrer Laptops oder Tablets für den digitalen Unterricht bekommen. Bis heute gibt es aber noch nicht einmal ein Formular, um die dafür angekündigten Fördergelder zu beantragen. Der Minister sagte das am Wochenende und am Montag rief mich der erste Schulleiter an und sagte, er braucht jetzt 120Tablets. Hätte ich die sofort gekauft ohne Förderantrag, dann hätte die Stadt alles bezahlt. Und wir reden da von mindestens 120.000 Euro Kosten nur für eine Schule! Es heißt, dass es die Förderanträge im März geben soll. Dann dauert die Genehmigung der Anträge erfahrungsgemäß wiederum mindestens ein Vierteljahr, und dann können wir erst einmal in die Ausschreibung gehen, und ist dann der günstigste Anbieter erkoren, dann wird es noch Monate dauern bis die liefern. Denn nicht nur Garching, sondern ganz Bayern steht da in den Startlöchern. Vor Frühjahr 2022 werden die Lehrer diese Geräte also nicht bekommen können. Wir haben 150.000 Lehrer und der Freistaat Bayern wird 15 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Damit bekommt jeder zehnte Lehrer ein Gerät. Aber dann soll es ja noch eine Förderung durch den Bund geben, aber die wurde im Bundestag noch nicht einmal beraten. So schaut die Realität aus. Das ist eine Farce. Obwohl doch jetzt jedem klar seien sollte, dass der Unterricht sich verändern wird. Er wird digitaler und es wird speziell in den weiterführenden Schulen in kleineren Lerngruppen gearbeitet werden. Auch in der Berufswelt fliegen wir ja seit Corona nicht mehr für eine Zwei-Stunden- Besprechung nach Berlin. Auch das macht man online. Es wird irgendwann Pflicht werden, dass jeder Schüler am ersten Schul-tag sein digitales Lerngerät bekommt. Und es kann nicht sein, dass reiche Kommunen das schultern, während Schüler in der Oberpfalz mit dem Ofenrohr ins Gebirge schauen.” Ist es denn die kleine Positivnachricht, dass dieses Thema 2020 auf der politischen Agenda nach oben gerückt ist? Gruchmann: „Ich denke, man hat zu lange am alten pädagogischen Zopf festgehalten! Auch Bildung muss mit der Zeit gehen. Digitalisierung gehört doch im Privaten bereits jetzt zur Lernwelt der Kinder. Meine Zwillingskinder mit ihren viereinhalb Jahren wissen doch auch schon, wie sie Papis Tablet einschalten, sie kennen die PIN auswendig und wissen, was man drücken muss um den Kids Channel in Youtube anzuschauen – natürlich nur alle paar Tage mal für 15 Minuten! Und junge Leute bezahlen doch auch schon mit dem Handy an der Supermarktkasse. Wir haben für Garching jetzt schon mal 200 Schul-Leihgeräte gekauft, insbesondere für Kinder aus sozial schwächeren Familien. Aber das kann es doch nicht sein. Chancengleichheit heißt für mich: Jedes Kind bekommt die gleiche Ausstattung.” Kommen wir mal zu den Finanzen der Stadt. Kommen Sie 2020 mit einem blauen Auge davon? Gruchmann: „Natürlich fehlen am Ende ein paar Millionen. Die richtig harten Jahre kommen aber erst noch, wenn sich die Einnahmeausfälle bemerkbar machen von den Leuten und Unternehmen, die 2020 kein Ge-schäft machen konnten. Unsere Prognose für dieses Jahr waren alleine bei der Gewerbesteuer rund neun Millionen Euro Aus-fall, dann wurden uns 6,8 Millionen Ausgleich angekündigt, und ausbezahlt bekamen wir jetzt 3,7 Millionen.” Können Sie damit leben? Gruchmann: „Ja, klar. Müssen wir. Pandemiebedingt konnten wir 2021 auch einige geplante Ausgaben nicht realisieren. Alle Baustellen kamen ins Stocken, wir hatten keine Bürgerwoche und das Kulturprogramm hatte Einbußen. Aber wenn allegeimpft sind, wollen wir alle wieder zurück zur Normalität, wir wollen eine Bürgerwoche und das komplette Kulturprogramm.” Wie überzeugt sind Sie, dass wir Anfang Juli mit Festzug und allem Drumherum die Bürgerwoche feiern? Gruchmann: „Also die gewohnte Standardvariante kann ich mir nicht vorstellen, aber eine abgespeckte Form. Ein Festzelt wird’s nicht geben. Es könnte Mutationen des Virus geben, die uns auf Trab halten werden. Ich kann mir vorstellen, dass wir Freiluftveranstaltungen machen können. Vielleicht geht der Festzug, aber eben ohne Finale im Festzelt. Auch ein Straßenfest in der Variante kann ich mir vorstellen. Die Hoffnung auf die Bürgerwoche haben wir noch nicht ad acta gelegt. Aber ich glaube 2021 nicht an ein Garchinger Festzelt und auch nicht an das Münchner Oktoberfest.” Wann erwarten Sie die herbeigesehnte Normalität? Gruchmann: „2022/23.” Und bis zur finanziellen Normalität dauert es auch zwei Jahre? Gruchmann: „Ich denke ja. Wir werden zwei Jahre mit spitzem Stift an den Haushalt herangehen müssen. Es werden Grundsatzfragen kommen, ob wir uns den Neubau der Feuerwehr oder Mietzahlungen für die VHS mit Familienzentrum leisten können. Wir werden beim Haushalt 2021 sicher auch Dinge auf die längere Bank hinausschieben müssen.” Heißt das, die Feuerwehr muss schon wieder Angst um den Neubau haben? Gruchmann: „Das glaube ich persönlich nicht, weil das eine Pflichtaufgabe der Kommune ist. Und bei der VHS denke ich das auch nicht, weil das ein Herzenswunsch aller Stadträte ist. Es gibt andere Dinge wie das Schwimmbad. Ich glaube nicht, dass wir so schnell diese 15 Millionen Euro investieren können, denn es stehen weitere Pflichtaufgaben an: Die Grundschule Nord muss auf den Weg gebracht werden und die wird mindestens 40 Millionen kosten.” Heißt das, man wird noch genauer unterteilen in Pflichtaufgaben, halbe Pflichtaufgaben und freiwillige Leistungen? Gruchmann: „Genau.” Also hat man beispielsweise kein Geld für ein neues Dach beim Seestadion? Gruchmann: „Das ist keine Pflichtaufgabe. Wir haben den Antrag für ein Bundesförderprogramm gestellt. Wenn wir diese 75 Prozent Zuschuss bekommen, dann dürfen wir uns die Chance natürlich nicht entgehen lassen. Aber eben nur dann. Und dafür würde ich dann auch Schulden machen.” 2021 hat begonnen. Freuen Sie sich auf dieses Jahr oder haben Sie wieder zwölf Monate einen blöden Job? Gruchmann: „Ich hätte mich für das Amt nicht zur Verfügung gestellt, wenn es nicht auch einen Spaßfaktor hätte. Gerade jetzt kommt es auf Mut und Kreativität an, die von Politikern erwartet wird. Und mit meiner Erfahrung und meiner positiven Grundhaltung werde ich die Dinge in die richtigen Bahnen lenken.” Ab wann wird in Garching geimpft? Gruchmann: „Die Impferei sollte am 01.01. im Pflegeheim starten, dann vorerst für alle älteren Mitmenschen im Impfzentrum-Nord des Landkreises in Unterschleißheim fortgesetzt werden. Corona ist so hart. Unser Seniorenzentrum in Garching hat sich 2020 so tapfer gehalten, aber jetzt zum Jahresende hat es die Einrichtung voll erwischt mit über 20 positiven Fällen, ja sogar Todesfällen. Das ist erschreckend und erschütternd. Da merken wir, wie hilflos wir dem Virus ausgeliefert sind. Und das muss man insbesondere auch immer wieder den leichtsinnigen Jugendlichen sagen, die sich immer wieder heimlich in größeren Gruppen treffen. Die spielen da leichtfertig mit dem Leben ihrer Großeltern. Klar, für die Kids ist es eine blöde Zeit. Aber diese Treffen sind kontraproduktiv.” Werden Sie demütig, wenn Sie solche Nachrichten aus dem Pflegeheim bekommen? Gruchmann: „Ja, absolut. Aber wir können die Heimleitung leider nur moralisch unterstützen. Auch ich darf das Haus nicht betreten. Ich kann kein neues Pflegepersonal anbieten und den Impfstoff habe ich auch nicht. Beim Impfen im Seniorenheim finde ich es übrigens auch wieder einen Wahnsinn, was es da für einen staatlichen Formalismus mit Einverständniserklärungen usw. gibt, bis die Senioren endlich geimpft werden dürfen.” Lassen Sie sich impfen? Gruchmann: „Wenn ich dran bin, dann ja. Sofort! Aber ich werde nicht vorpreschen. Ich bin genauso ein Bürger wie alle anderen auch. Ich warte, bis ich an der Reihe bin.” Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch. vorheriger Artikel Übersicht nächster Artikel
09. Januar 2021 „Die richtig harten Jahre kommen erst noch“ Jahresauftakt-Interview mit Bürgermeister Dietmar Gruchmann über Corona, 2021 und die weiteren Folgen für die Stadt Auf die Freude über die Wiederwahl folgte monatelanges Krisenmanagement. In unserem Jahresinterview erzählt Bürgermeister Dietmar Gruchmann aus seinem Arbeitsalltag, von Ärgernissen im Umgang mit der großen Politik und natürlich auch, wie es nun in Garching weitergehen soll. Herr Gruchmann, 2020 war ein Jahr, wie es sich wohl niemand hat vorstellen können. Wie fällt Ihre Bilanz aus? Gruchmann: „Nach der Freude der gewonnenen Kommunalwahl kam dann das böse Erwachen. Dieses Jahr hat uns alle wirklich vor ganz spezielle Herausforderungen gestellt.” Ist es im Pandemiejahr eine Freude oder eine Strafe, als Bürgermeister wiedergewählt worden zu sein? Gruchmann: „Es ist ein Glücksmoment für alle Kommunen, in denen Bürgermeister wiedergewählt wurden, die somit schon Routine im Amtsgeschäft hatten. Denn der Schwerpunkt des Jahres war ein durchgehendes Krisenmanagement. Es begann mit den Kinderbetreuungseinrichtungen, die mit dem Start der Pandemie im Ausnahmezustand waren. Die Erwartungshaltung der Eltern war dazu hoch. Dann standen die Schulen mit der Digitalisierung auf der Matte. Die ist noch lange nicht so umgesetzt, wie es ein Kultusministerium mit Weitblick hätte schaffen können. Über Nacht haben wir unsere eigene Corona-Teststation aufgebaut – ein echter Kraftakt für unsere Verwaltung, der ich dafür sehr dankbar bin, denn sonst hätten unsere Bürger zur Teststation des Landkreises nach Haar fahren müssen. Natürlich lief so etwas auf die Schnelle nicht vollkommen reibungslos an. Wir konnten auch nicht jede Erwartungshaltung der Bürger erfüllen, aber die meisten sind uns dankbar für diese Service-Leistung der Stadt. Es war wirklich ein Jahr voller Herausforderungen. Und gerade die Digitalisierung unserer Schulen ist immer wieder ein großes Thema. Das beschäftigt uns auch jetzt noch.” Was ist da der aktuelle Stand? Gruchmann: „Vor zwei Jahren startete der Digitalpakt Bayern mit der Aussicht auf Zuschüsse, damit die Schulen Glasfaser-Anschlüsse bekommen sowie die Verkabelungen in den Gebäuden und WLAN. Das zur Verfügung gestellte Geld war etwa die Hälfte von dem, was wir tatsächlich brauchen. Wir waren als Kommune gefordert und wir waren und sind abhängig von Dritten. Wir können Aufträge an Telekommunikationsunternehmen erteilen, aber wir können die Arbeiten nicht selber ausführen. Beim Gymnasium und der Grundschule Ost wurden die Glasfaserleitungen zum Beispiel bis 100 Meter vor die Schulen verlegt. Und dann hieß es, dass die Schulanschlüsse erst 2021 gemacht werden. Da kann ich dann bitten und betteln, wie ich will… wenn die nicht wollen oder können, gibt’s kein schnelles Internet in den Schulen. Wir haben improvisiert was ging, aber es ist noch lange nicht perfekt. Die große Politik weckt aber beiden Eltern die Erwartungshaltung, dass von ihr alles geregelt ist. Dabei dauert das alles seine Zeit. Wir müssen Aufträge EU-weit ausschreiben. Kultusminister Piazolo hat vor ein paar Wochen zum Beispiel versprochen, dass alle Lehrer Laptops oder Tablets für den digitalen Unterricht bekommen. Bis heute gibt es aber noch nicht einmal ein Formular, um die dafür angekündigten Fördergelder zu beantragen. Der Minister sagte das am Wochenende und am Montag rief mich der erste Schulleiter an und sagte, er braucht jetzt 120Tablets. Hätte ich die sofort gekauft ohne Förderantrag, dann hätte die Stadt alles bezahlt. Und wir reden da von mindestens 120.000 Euro Kosten nur für eine Schule! Es heißt, dass es die Förderanträge im März geben soll. Dann dauert die Genehmigung der Anträge erfahrungsgemäß wiederum mindestens ein Vierteljahr, und dann können wir erst einmal in die Ausschreibung gehen, und ist dann der günstigste Anbieter erkoren, dann wird es noch Monate dauern bis die liefern. Denn nicht nur Garching, sondern ganz Bayern steht da in den Startlöchern. Vor Frühjahr 2022 werden die Lehrer diese Geräte also nicht bekommen können. Wir haben 150.000 Lehrer und der Freistaat Bayern wird 15 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Damit bekommt jeder zehnte Lehrer ein Gerät. Aber dann soll es ja noch eine Förderung durch den Bund geben, aber die wurde im Bundestag noch nicht einmal beraten. So schaut die Realität aus. Das ist eine Farce. Obwohl doch jetzt jedem klar seien sollte, dass der Unterricht sich verändern wird. Er wird digitaler und es wird speziell in den weiterführenden Schulen in kleineren Lerngruppen gearbeitet werden. Auch in der Berufswelt fliegen wir ja seit Corona nicht mehr für eine Zwei-Stunden- Besprechung nach Berlin. Auch das macht man online. Es wird irgendwann Pflicht werden, dass jeder Schüler am ersten Schul-tag sein digitales Lerngerät bekommt. Und es kann nicht sein, dass reiche Kommunen das schultern, während Schüler in der Oberpfalz mit dem Ofenrohr ins Gebirge schauen.” Ist es denn die kleine Positivnachricht, dass dieses Thema 2020 auf der politischen Agenda nach oben gerückt ist? Gruchmann: „Ich denke, man hat zu lange am alten pädagogischen Zopf festgehalten! Auch Bildung muss mit der Zeit gehen. Digitalisierung gehört doch im Privaten bereits jetzt zur Lernwelt der Kinder. Meine Zwillingskinder mit ihren viereinhalb Jahren wissen doch auch schon, wie sie Papis Tablet einschalten, sie kennen die PIN auswendig und wissen, was man drücken muss um den Kids Channel in Youtube anzuschauen – natürlich nur alle paar Tage mal für 15 Minuten! Und junge Leute bezahlen doch auch schon mit dem Handy an der Supermarktkasse. Wir haben für Garching jetzt schon mal 200 Schul-Leihgeräte gekauft, insbesondere für Kinder aus sozial schwächeren Familien. Aber das kann es doch nicht sein. Chancengleichheit heißt für mich: Jedes Kind bekommt die gleiche Ausstattung.” Kommen wir mal zu den Finanzen der Stadt. Kommen Sie 2020 mit einem blauen Auge davon? Gruchmann: „Natürlich fehlen am Ende ein paar Millionen. Die richtig harten Jahre kommen aber erst noch, wenn sich die Einnahmeausfälle bemerkbar machen von den Leuten und Unternehmen, die 2020 kein Ge-schäft machen konnten. Unsere Prognose für dieses Jahr waren alleine bei der Gewerbesteuer rund neun Millionen Euro Aus-fall, dann wurden uns 6,8 Millionen Ausgleich angekündigt, und ausbezahlt bekamen wir jetzt 3,7 Millionen.” Können Sie damit leben? Gruchmann: „Ja, klar. Müssen wir. Pandemiebedingt konnten wir 2021 auch einige geplante Ausgaben nicht realisieren. Alle Baustellen kamen ins Stocken, wir hatten keine Bürgerwoche und das Kulturprogramm hatte Einbußen. Aber wenn allegeimpft sind, wollen wir alle wieder zurück zur Normalität, wir wollen eine Bürgerwoche und das komplette Kulturprogramm.” Wie überzeugt sind Sie, dass wir Anfang Juli mit Festzug und allem Drumherum die Bürgerwoche feiern? Gruchmann: „Also die gewohnte Standardvariante kann ich mir nicht vorstellen, aber eine abgespeckte Form. Ein Festzelt wird’s nicht geben. Es könnte Mutationen des Virus geben, die uns auf Trab halten werden. Ich kann mir vorstellen, dass wir Freiluftveranstaltungen machen können. Vielleicht geht der Festzug, aber eben ohne Finale im Festzelt. Auch ein Straßenfest in der Variante kann ich mir vorstellen. Die Hoffnung auf die Bürgerwoche haben wir noch nicht ad acta gelegt. Aber ich glaube 2021 nicht an ein Garchinger Festzelt und auch nicht an das Münchner Oktoberfest.” Wann erwarten Sie die herbeigesehnte Normalität? Gruchmann: „2022/23.” Und bis zur finanziellen Normalität dauert es auch zwei Jahre? Gruchmann: „Ich denke ja. Wir werden zwei Jahre mit spitzem Stift an den Haushalt herangehen müssen. Es werden Grundsatzfragen kommen, ob wir uns den Neubau der Feuerwehr oder Mietzahlungen für die VHS mit Familienzentrum leisten können. Wir werden beim Haushalt 2021 sicher auch Dinge auf die längere Bank hinausschieben müssen.” Heißt das, die Feuerwehr muss schon wieder Angst um den Neubau haben? Gruchmann: „Das glaube ich persönlich nicht, weil das eine Pflichtaufgabe der Kommune ist. Und bei der VHS denke ich das auch nicht, weil das ein Herzenswunsch aller Stadträte ist. Es gibt andere Dinge wie das Schwimmbad. Ich glaube nicht, dass wir so schnell diese 15 Millionen Euro investieren können, denn es stehen weitere Pflichtaufgaben an: Die Grundschule Nord muss auf den Weg gebracht werden und die wird mindestens 40 Millionen kosten.” Heißt das, man wird noch genauer unterteilen in Pflichtaufgaben, halbe Pflichtaufgaben und freiwillige Leistungen? Gruchmann: „Genau.” Also hat man beispielsweise kein Geld für ein neues Dach beim Seestadion? Gruchmann: „Das ist keine Pflichtaufgabe. Wir haben den Antrag für ein Bundesförderprogramm gestellt. Wenn wir diese 75 Prozent Zuschuss bekommen, dann dürfen wir uns die Chance natürlich nicht entgehen lassen. Aber eben nur dann. Und dafür würde ich dann auch Schulden machen.” 2021 hat begonnen. Freuen Sie sich auf dieses Jahr oder haben Sie wieder zwölf Monate einen blöden Job? Gruchmann: „Ich hätte mich für das Amt nicht zur Verfügung gestellt, wenn es nicht auch einen Spaßfaktor hätte. Gerade jetzt kommt es auf Mut und Kreativität an, die von Politikern erwartet wird. Und mit meiner Erfahrung und meiner positiven Grundhaltung werde ich die Dinge in die richtigen Bahnen lenken.” Ab wann wird in Garching geimpft? Gruchmann: „Die Impferei sollte am 01.01. im Pflegeheim starten, dann vorerst für alle älteren Mitmenschen im Impfzentrum-Nord des Landkreises in Unterschleißheim fortgesetzt werden. Corona ist so hart. Unser Seniorenzentrum in Garching hat sich 2020 so tapfer gehalten, aber jetzt zum Jahresende hat es die Einrichtung voll erwischt mit über 20 positiven Fällen, ja sogar Todesfällen. Das ist erschreckend und erschütternd. Da merken wir, wie hilflos wir dem Virus ausgeliefert sind. Und das muss man insbesondere auch immer wieder den leichtsinnigen Jugendlichen sagen, die sich immer wieder heimlich in größeren Gruppen treffen. Die spielen da leichtfertig mit dem Leben ihrer Großeltern. Klar, für die Kids ist es eine blöde Zeit. Aber diese Treffen sind kontraproduktiv.” Werden Sie demütig, wenn Sie solche Nachrichten aus dem Pflegeheim bekommen? Gruchmann: „Ja, absolut. Aber wir können die Heimleitung leider nur moralisch unterstützen. Auch ich darf das Haus nicht betreten. Ich kann kein neues Pflegepersonal anbieten und den Impfstoff habe ich auch nicht. Beim Impfen im Seniorenheim finde ich es übrigens auch wieder einen Wahnsinn, was es da für einen staatlichen Formalismus mit Einverständniserklärungen usw. gibt, bis die Senioren endlich geimpft werden dürfen.” Lassen Sie sich impfen? Gruchmann: „Wenn ich dran bin, dann ja. Sofort! Aber ich werde nicht vorpreschen. Ich bin genauso ein Bürger wie alle anderen auch. Ich warte, bis ich an der Reihe bin.” Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch. vorheriger Artikel Übersicht nächster Artikel